Grundbausteine der Fotografie - die Emulsion


Karl Neumeier


Früher war die Herstellung von Foto-Emulsionen nichts für Farbenblinde. Vor 50 Jahren beschrieb T. Thorne Baker, wie die Meisterchemiker vergangener Jahrzehnte die Herstellung überwachten: "Beim Köcheln der Emulsion zapften sie immer mal wieder etwas ab und beobachteten, wie die Lösung im Durchlicht ihre Farbe änderte: von gelb über grün nach türkis. Sobald sie blau schimmerte, hatte sie die maximale Empfindlichkeit erreicht." In der Zwischenzeit ist aus der Kunst eine reproduzierbare Wissenschaft geworden - fast schon eine Geheimwissenschaft, denn die Rezepturen werden gehütet wie ein Staatsgeheimnis.

Dabei ist alles im Prinzip ganz einfach: Man mischt Silbernitrat mit einem Alkalihalogenid in einer wässrigen Gelatinelösung und rührt dabei kräftig um - schon fallen die schwer löslichen Silberhalogenide aus:

AgNO3 + KBr = AgBr + KNO3

Die Gelatine sorgt dafür, dass die Halogenid-Kristalle nicht verklumpen, sondern schön gleichmäßig verteilt bleiben - das ist alles.

 

Der Teufel steckt im Detail

Doch der Teufel steckt wie immer im Detail. Kleinste Verunreinigungen der Rohstoffe können die Emulsion vollständig ruinieren. Deswegen wird die Luft gefiltert und das Wasser vollständig deionisiert. Rohchemikalien sollten den Anforderungen des DAB (Deutsches Arzneibuch) entsprechen, wie sie für die Pharmaindustrie verbindlich sind.

Größter Unsicherheitsfaktor ist die Gelatine. Die variiert schon mal von Charge zu Charge, so dass letzten Endes immer die fotografische Prüfung über die Tauglichkeit einer Emulsion entscheidet. Drei Herstellungsschritte sind allen Emulsionen gemeinsam: Das Ausfällen der Kristalle, das Entfernen löslicher Salze und die als Chemische Reifung bekannte Oberflächenbehandlung der Kristalle. Verschieden sind dagegen die Herstellungsverfahren.

Beim Monoeinlauf kippt man Silbernitratlösung in eine Lösung aus Alkalihalogenid und Gelatine. Bei der Inversen Fällung warten Silbernitrat und Gelatine im Topf auf das zulaufende Halogenid. Beim Doppeleinlauf fließen Halogenid und Silbernitrat gleichzeitig, aber aus getrennten Gefäßen, in die Gelatinelösung. Die Monoverfahren sind technisch einfacher, aber mit einem Makel behaftet: Emulsionen mit Silber-Überschuss neigen dazu, Silberionen auch ohne Belichtung zu metallischem Silber zu reduzieren. Das verhindert man, indem man die Halogenide viel höher dosiert. Dadurch ändert sich aber beim Fällen schnell das Verhältnis von Silber- zu Halogenidionen. Ein Beispiel: 10 Teilen Silberionen stehen 100 Teile Bromionen gegenüber, ein Verhältnis von 1:10. Fallen jeweils fünf Teile als Kristall aus, bleiben 5 Teile Silber und 95 Teile Brom zurück - ein Verhältnis von 1:19.

Das Brom-/Silber-Relation hat aber entscheidenden Einfluss auf Form und Größe der entstehenden Kristalle. Man erhält also sogenannte polydisperse Emulsionen, deren Kristalle in Form und Größe - und auch in ihren fotochemischen Eigenschaften - differieren. In aufwendigen Doppeleinlaufmaschinen kann man das Ag/Br-Verhältnis konstant halten und monodisperse Kristalle züchten - Kristalle gleicher Form und Größe. Dabei kontrollieren im Kessel angebrachte Elektroden die Konzentration der Reaktionspartner und steuern über einen Regelkreis den Nachschub. Leitet man äquimolare Mengen (gleiche Anzahl an Atomen) Silber und Halogenid ein, so erhält man, je nach Konzentration der Silberionen, Würfel, Achtecke oder andere gleichförmige Vielflächner. Hält man dagegen einen genau definierten Halogenüberschuss konstant, dann wachsen die Kristalle tafelförmig - die sogenannten T-Grains.

Nicht alle neu geborene Kristalle überleben. Rührt man nach der Fällung gleichmäßig weiter, dann lösen sich viele kleine Kristalle auf, und die freigewordenen Ionen lagern sich an das Gitter größerer Kristalle an. Man nennt diesen Vorgang physikalische Reifung: Die mittlere Korngröße nimmt zu, die Anzahl der Körner dagegen ab.

 

Weites Experimentierfeld

Während all dieser Schritte gibt es für die Chemiker viele Möglichkeiten, an der Form der Kristalle herum zu modellieren: Konzentrationen verändern oder Bromid durch Chlorid oder Jodid ersetzen. Das geht sogar in einem Guss, wenn es sein muss. Dann entstehen Kristalle mit schalenförmigem Aufbau, wie Core-Shell-Emulsionen. Mehr noch: Während der physikalischen Reifung beeinflussen Temperatur und Zeit die Kristallisation, auch Komplexbildner wie Ammoniak oder Thioether drücken aufs Reifungstempo. Überschüssiges Halogenid muss jetzt aus der Emulsion entfernt werden, damit es später keinen Unfug anrichtet. Dazu wird die Emulsion abgekühlt und durch einen überdimensionierten Fleischwolf gedreht - genudelt, wie das im Fachjargon heißt. Der genudelte Brei wird dann so lange gewässert, bis alles überschüssige Halogenid ausgewaschen ist. Alternative Methoden zum Entsalzen sind das Ausflocken der Gelatine/Silberhalo-Mixtur mit organischen Verbindungen oder die Ultrafiltration an halbdurchlässigen Membranen, wo die kleinen Ionen ungehindert passieren, während die großen Gelatine-Kristallkomplexe festgehalten werden.

Die Lichtempfindlichkeit der so gereiften Emulsionen lässt noch schwer zu wünschen übrig: Zu viele latente Bilder entstehen im Inneren des Kristalls, wo der Entwickler nicht zupacken kann. Damit das Latentbild außen am Kristall entsteht, wird die Oberfläche behandelt - chemisch sensibilisiert, wie das heißt. Dabei hinterlassen Thiosulfat, Thioharnstoff oder Gold-Thiocyanat-Komplexe auf der Oberfläche Reifkeime in Form von Gitterdefekten. Das können Ag2-Keime sein, aber auch Ag2S, AgAuS oder Au2S. An diesen Reifkeimen kann sich bei der späteren Belichtung der Latentbildkeim bilden - frei zugänglich für den Entwickler. Durch die chemische Reifung wird die Lichtempfindlichkeit bis zum 50fachen gesteigert.

Die fotografisch wichtigsten Eigenschaften stehen jetzt fest. Die Lichtempfindlichkeit ist eine Funktion der Korngröße: Je kleiner die Kristalle, desto geringer die Empfindlichkeit und umgekehrt. Die Gradation wird dagegen von der Verteilung der Korngröße bestimmt. Sind alle Kristalle mehr oder minder gleich groß, dann reagiert die Schicht hart - Lithfilme sind ein Beispiel für diesen Typ. Eine breite Verteilung sorgt dagegen für eine weiche Gradationskurve.

"Die Kunst bei der Herstellung fotografischer Emulsionen besteht darin, die richtige Menge an Verunreinigungen im Kristall unterzubringen" kommentierte Trivelli 1929 in seinem Aufsatz "Versuch zu einer Hypothese des latenten Bildes'. An diesem empirischen Ansatz hat sich, trotz wissenschaftlicher Erkenntnisse, bis heute nicht viel geändert.

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