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Text & Fotos: Dr. Otto Beyer
Aufmerksame Beobachter der Fotoszene werden feststellen, dass nach wie vor in der künstlerischen Fotografie die Schwarzweißbilder nicht wegzudenken sind. Auch kommen immer mal wieder bemerkenswerte Filme ins Kino, die in Schwarzweiß ihr Publikum finden. Hier ist der Film „Die andere Heimat“ von Edgar Reitz aus dem letzten Jahr zu nennen. Dieses bis dahin größte deutsche Filmprojekt der letzten 30 Jahre erzählt in Schwarzweiß von beeindruckenden Schicksalen. In Cannes wurde 2009 der SW-Film „Das weiße Band“ mit der Goldenen Palme ausgezeichnet. Was macht denn nun den Reiz, das Anrührende und die Überzeugungskraft der Bilder in Schwarzweiß aus? Technische oder ökonomische Zwänge spielen schon längst keine Rolle mehr.
Schönheit in der Kunst
Historisch gesehen hat man sich über lange Perioden der Geistesgeschichte damit beschäftigt, der Schönheit in der Kunst auf den Grund zu gehen. Egal welche Techniken oder Prinzipien man entdeckt und beschrieben hat, es ist nicht gelungen, anhand dieser Kriterien „Schönheit“ zu definieren. Als Beispiel sei hier der Goldene Schnitt genannt. Man konnte sehr schnell feststellen, dass bekannte, als „schön“ geltende Meisterwerke aus der Antike nach dem Goldenen Schnitt gestaltet waren. Umgekehrt ist ein Kunstwerk aber nicht automatisch ein Meisterwerk, wenn bei der Gestaltung der Goldene Schnitt eingesetzt wird. Trotzdem prägten objektive Maßstäbe wie Symmetrie, Ebenmäßigkeit und ausgewogene Proportionen die abendländische Kunst und Kultur fundamental. Die Moderne Kunst lehnt es ab, mit dem Begriff „Schönheit“ zu arbeiten, betrachtet dies als oberflächlich (Werbung) und setzt ihn in die Nähe zum Kitsch. Wir alle wissen, wenn ein Foto nur schön ist, ist es nicht gut genug. Für die künstlerische Fotografie hat die Schwarzweißtechnik immer eine herausgehobene Bedeutung gehabt. Dies gipfelte in den simplifizierten Formeln: „Farbe ist Abbilden, Schwarzweiß ist Kunst“ oder „Schwarzweiß charakterisiert“. Hierzu existieren bekannte Statements von großen Fotografen wie z.B. dem kürzlich verstorbenen Robert Häusser. Dieser einflussreiche deutsche Fotograf formulierte sein Bekenntnis zur Schwarzweißfotografie in einem Interview so: „Farbe ist zu geschwätzig, sie lenkt nur ab von der Beziehung zum Gegenstand.“ Er wählte zeit seines Lebens mit großem Erfolg die Schwarzweißfotografie als bevorzugtes Medium für seine künstlerischen Arbeiten. Der weltbekannte, in New York lebende japanische Fotograf Hiroshi Sugimoto begründet sein Arbeiten mit der Schwarzweißfotografie in einem Fernsehporträt so: „Color is too simple (Farbe ist zu einfach).“ Diese beiden pointierten Aussagen haben in der klassischen Fotografie einen ganz realen Hintergrund. Nur bei Schwarzweißmaterialien konnte man den Film individuell entwickeln, und beim Vergrößern hatte man verschiedene Papierhärtegrade und eine Vielzahl verschiedener Oberflächen zur Verfügung, um die Bildaussage zu steigern. Dies ist heute noch völlig konträr zu der Empfindung, dass ein Schwarzweißfoto einen „höheren dokumentarischen Wert“ hat als eine Farbaufnahme.
Schwarzweiß-Boom digital
Mit dem Aufkommen der digitalen Fotografie konnten endlich Farbaufnahmen am Computer so bearbeitet werden, wie man es von der Schwarzweißtechnik aus der Dunkelkammer kannte. Dies löste einen riesigen Boom aus, und die Schwarzweißfotografie geriet aus dem Fokus der Öffentlichkeit. Inzwischen hat die Digitaltechnik einen beeindruckenden Stand erreicht, und viele aktive Fotografen kehren wieder zur Schwarzweißfotografie in der digitalen Ausprägung zurück, andere arbeiten nach wie vor in der Dunkelkammer. Da die Digitaltechnik eine gewisse Sättigung erreicht hat, treten nun endlich wieder künstlerische Fragestellungen in den Vordergrund. Dies ist ein deutliches Indiz dafür, dass in Schwarzweiß Bildwirkungen erzielt werden können die einen besonderen Reiz haben. Wir haben ja schon alle das sehr pointierte Bonmot gehört: Hobbyfotografen unterhalten sich am liebsten über Technik, Profis über Honorare und Künstler über das Licht. Da sollte ein jeder mal darüber nachdenken, wo er sich einordnen möchte.
Landmann
Psychologische Faktoren
Betrachtet man Bilder in den öffentlichen Medien, so ist man oft unangenehm berührt, wenn Fotos von Katastrophen, großen Unglücken oder Kriegsopfern in Farbe präsentiert werden. Man hat den starken Eindruck, dass die „schönen“ Farben die harten Fakten „beschönigen“. Die Bilder wirken dadurch wie aus einer nicht realen Welt. Man verbindet mit solch dramatischen Ereignissen ganz andere Gefühle als mit „schönen“ Bildern. Fragt man in seinem Bekanntenkreis Menschen nach ihren Träumen, können die wenigsten auf Anhieb sagen, ob sie in Farbe oder Schwarzweiß träumen. Auch bei visuellen Erinnerungen an Abläufe oder Ereignisse spielt die Farbe meist nur eine kleine Nebenrolle. Dies wird auch durch neuere Forschung bestätigt. Das Auge sieht sehr viel; aber die anschließende „Datenverarbeitung“ muss diese enorme Vielzahl von Informationen meist in sehr kurzer Zeit auswerten, abspeichern und schon bekannte Strukturen erkennen. Der gesamte Prozess funktioniert nur, wenn die eingehenden Informationen bewertet werden und Unwichtiges weggelassen wird. In vielen Fällen ist dieses „Unwichtige“ dann die Farbe. Dies könnte der Grund sein, warum in der Fotografie die Farbe oft keine entscheidende Rolle übernimmt. Schwarzweißbilder sind damit schon „vorverarbeitet“. Gute Schwarzweißfotos sind dichter an der Wirklichkeit, legen Strukturen bloß und erlauben damit einen kleinen Blick „hinter den Vorhang“ und wirken in der Summe intensiver auf den Betrachter.
Fotografieren ist eine körperlich und geistig anstrengende Arbeit, die eine hohe Konzentration erfordert. Fotografieren braucht Vorbereitung und man muss sich Zeit lassen. Gerade schlichte Motive verlangen eine gründliche Vorbereitung. Die klassischen Domänen der Schwarzweißfotografie sind Architektur, Landschaft und Porträt. Die gezeigte Architekturaufnahme zieht durch ihre besonderen Lichtverhältnisse (Abendsonne) in Verbindung mit der Struktur den Blick auf sich, das Porträt wirkt hauptsächlich durch den freundlichen, natürlichen Bildeindruck. Neuere Forschungsergebnisse zeigen (Murzyn), dass speziell Menschen mit gutem räumlichen Vorstellungsvermögen scheinbar überwiegend in Schwarzweiß oder mit wenig Farbe träumen und ihr Erinnerungs- und Vorstellungsvermögen ebenso arbeitet. Da können wir doch davon ausgehen, dass die Schwarzweißfotografie noch sehr lange aktuell bleiben wird.
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