Haltbarkeit von Fotos

Für die Ewigkeit gemacht 
Über die Haltbarkeit (physisch und inhaltlich) von Fotos


Thomas Wollstein
Juni 2003


Print Permanence, die Haltbarkeit von Abzügen, beschäftigt immer mal wieder die Fotografen. Auch ich habe ihr schon die eine oder andere Kolumne gewidmet (Fotos auf PE-PapierArchivfeste Tonungen). Dabei habe ich mich immer nur mit dem Aspekt der physischen Haltbarkeit des belichteten Materials befasst. Was aber ist mit den Inhalten?

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Jeden Morgen auf dem Weg zum Büro überquere ich auf einer Brücke eine Bahnstrecke, und in letzter Zeit fiel mir auf, dass die Gleise rostig werden und dazwischen mehr und mehr Grünzeug wächst. Offenbar wird der Abschnitt nicht mehr genutzt. Nicht, dass der Anblick der Bahnschneise ein ästhetischer Hochgenuss ist, doch – wie ein Bekannter, der Fotograf Walter Vogel aus Düsseldorf, neulich treffend sagte – "Da muss man nur seine Kamera irgendwie hineinhalten, und schon hat man ein verrücktes Strukturfoto." Tatsächlich habe ich genau solche Fotos vor einiger Zeit gemacht, u.a. weil mir das Grünzeug jetzt im Frühjahr u.a. optimal für interessante IR-Fotos erschien, teils aber auch als Dokumentation. Das strenge Muster der Schienen, dem sich das wild wuchernde Kraut widersetzt, seit es für die DB nicht mehr lohnt, es mit Herbiziden niederzuhalten, hat seinen Reiz.

In letzter Zeit werden dort Gleise "zurückgebaut", was der neudeutsche Ausdruck für "abmontiert" ist. Damit gewinnen meine Fotos neben dem ästhetischen Wert (den sicher jeder anders beurteilt) auch noch einen dokumentarischen, wenn demnächst dieselbe Fläche von wieder einem neuen Bürohochhaus belegt wird.

Das hat mich dazu veranlasst, mich zu fragen, warum ich eigentlich Wert darauf lege, meine Fotos besonders langlebig zu machen und bei welchen Fotos sich das überhaupt lohnt.

Schienen

Wie lange hält ein Bild?

Papierbilder

Ein sauber verarbeitetes SW-Bild, gleich ob PE-Papier oder Baryt, hält unter nicht zu miserablen Lagerungsbedingungen locker seine 50 Jahre. Baryt mit zusätzlicher Stabilisierung durch Schwefel-, Selentoner, Goldtoner und/oder Agfa Sistan (dessen Wirksamkeit inzwischen durch das Image Permanence Institute nachgewiesen wurde) und sorgfältig gelagert, kann Hunderte von Jahren halten.

Bei den organischen Farbstoffen von nasschemisch erzeugten Farbbildern sieht es nicht ganz so toll aus, aber auch verblichene Kodachromes aus der Anfangszeit der Farbenfotografie (wie sie damals noch genannt wurde) sind noch erkennbar und erstrahlen mit Hilfe von Rechentechnik (Digital ROC®), wie in Filmscanner eingebaut ist oder als Photoshop-Plug-In käuflich erworben werden kann, sogar wieder in altem Glanz.

Auch bei Fotodrucken aus dem Computer hat sich einiges getan. Waren die ersten Farbdrucke schon nach 6 Monaten nicht mehr ansehnlich, sind Ausdrucke mit vielen der heute erhältlichen hochwertigen Tinten mindestens so stabil wie nasschemisch erzeugte Farbbilder, und wenn man kleine Abstriche in der Größe des darstellbaren Farbraums hinnimmt, sogar erheblich länger als viele SW-Bilder (z. B. Pigmenttinten des EPSON Stylus Photo 2000p: geschätzte Lichtechtheit ca. 200 Jahre).

Negative

Im Bereich KB- und MF-Rollfilm ist Zellulosetriazetat als Träger wohl am weitesten verbreitet. Dieses Material kann bei kühler und – noch wichtiger – trockener Lagerung recht lange halten, unter guten Bedingungen 100 Jahre und mehr. Unter schlechten Bedingungen (hohe Luftfeuchte, hohe Temperatur, Licht) kann es aber auch schon in wenigen Jahren anfangen zu schrumpfen (so sehr, dass sich die Schicht ablöst) und zu zerfallen. (Schnuppern Sie mal an Ihrem Negativordner. Riecht es nach Essig? Das wäre ein Alarmsignal.)

In letzter Zeit unternehmen insbesondere Kodak und MACO offenbar Schritte dahin, MF-Rollfilm und, soweit möglich, auch KB-Film auf Polyesterträger zu gießen. Bei Planfilmen ist Polyester schon länger etwas üblicher. Polyester (PE) ist mechanisch und chemisch erheblich stabiler als Zellulosetriazetat. Man erwartet, dass PE-Träger 500 Jahre unverändert halten. Aus diesem Grund wird es auch als Träger für Mikrofilme genutzt, deren primärer Zweck eben die Langzeit-Archivierung ist.

Glasplattennegative sind chemisch mindestens so beständig, aber "Glück und Glas, wie leicht bricht das!" Zudem sind sie schwer und benötigen viel Platz.

Daten

Ein düsteres Kapitel! Mag eine CD-ROM rein vom Material her noch mit großer Wahrscheinlichkeit ein paar Jahrzehnte lesbar bleiben, wenn sie nicht durch Einwirkung von roher Kraft, Wärme oder Licht misshandelt wird, so ist nicht klar, welche Software etwa in 20 Jahren noch die Dateiformate von heute wird verstehen können. Jedem, der größere Bildbestände auf CD sichern möchte, kann man nur raten, seine CDs in regelmäßigen Abständen, spätestens bei jedem Hard- und Software-Update auf die nächste (bessere?) Version mit der neuen Software zu öffnen und in dem einfachsten zur Verfügung stehenden Datenformat verlustfrei (also z. B. TIFF unkomprimiert statt JPEG mit hoher Kompression!) wieder abzuspeichern. Bei einem Versionssprung von 1 sind die Dateiformate zwar vielleicht noch mit der neuen Version lesbar, aber die Erfahrung lehrt, dass schon ab einem Sprung von 2 niemand mehr irgendeine Kompatibilität garantiert. Eine ganz schlechte Wette sind proprietäre Formate, die nur von der Software eines einzigen Herstellers verstanden werden.

Nutzen Sie beim Abspeichern der Daten auf CD (oder was auch immer) möglichst auch das einfachste verfügbare Datenträgerformat und Ablagesystem, also nicht etwa irgendein Backupformat, das eine Auspacksoftware braucht. Wer weiß, ob die auf der nächsten oder übernächsten Version Ihres Betriebssystems noch läuft, selbst wenn Sie beim selben Rechnersystem bleiben!

Hier unterscheiden sich übrigens PCs und die in der Grafiker-Welt zum Quasi-Standard gewordenen MACs: Letzterer hat vom Betriebssystem schon die Möglichkeit eingebaut, PC-CDs zu lesen. Umgekehrt soll es mit zusätzlichen Tools gehen.

Aber Sie ahnen schon, was passieren wird: Wenn Sie im Jahr nur 10 KB-Filme verschießen – aus meiner Sicht eine sehr moderate Zahl – und die Negative digital archivieren wollen, haben Sie am Ende des ersten Jahres 360 Dateien. Beim nächsten Update in vielleicht zwei Jahren, schon über 1000, die Sie möglicherweise alle einmal – vermutlich in Handarbeit – öffnen und wieder neu abspeichern müssen. Im Laufe der Jahre kommen Sie nur noch zum Umspeichern, aber nicht mehr zum Fotografieren. (Oder Sie vertrauen auf Gott und aktualisieren die Daten nicht.)

Einen optischen Vergrößerer für ein Negativ könnte man selbst in 500 Jahren noch mit Hausmitteln zusammenschustern, und wenn es dann noch EDV, pardon: IT, gibt, kann man die Negative auch noch scannen. Doch wer wird in 500 Jahren noch wissen, was sich die Programmierer bei der Vereinbarung des TIFF-, PSD-, JPEG-, PCX- oder Weißnichwas-Formats gedacht haben?

Aber wer guckt sich die Bilder dann noch an?

Meine Tochter wird sich vielleicht in 50 Jahren noch meine Bilder angucken, weil die Bilder ein Stück meiner Seele abbilden und es ihr so erlauben, ihrem Vater gedanklich näher zu sein, der dann mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit schon nicht mehr leben wird. Für sie sind möglicherweise alle meine Bilder einfach deswegen interessant, weil sie von mir sind. Dabei spielt der Inhalt keine so immens große Rolle.

Aber wird es unter meinen Bildern in 50 Jahren auch welche geben, die Herrn Müller von gegenüber, der mich nicht kannte und daher keinen direkten emotionalen Bezug zu den Bildern hat, interessieren?

Ansel Adams hat viele Landschaftsfotos von fantastischer Schönheit und handwerklicher Qualität geschaffen, und ähnliches gilt für Edward Weston mit seinen Ausflügen in die Welt des Gemüses, der Schalentiere und der Haushaltskeramik und wer weiß wie viele andere der "Alten Meister". Ich schaue mir immer mal wieder solche Bilder zusammen mit Bekannten und Freunden an, und immer wieder merke ich, dass viele sich zwar der Schönheit dieser Bilder nicht verschließen können, dass aber ob des Inhalts doch mehr oder weniger Gleichgültigkeit vorherrscht.

Wenn ich in unser Stadtmuseum gehe und mir die Portraits (Gemälde) unserer Fürsten ansehe, kann ich auch nicht umhin, die technischen Fertigkeiten der Maler zu bewundern, aber nach dem dutzendsten Fürsten ähneln sich die Posen und Nasen dann doch, und viel interessanter ist es, zu sehen, wie sich das Äußere der Fürsten, die "Mode" im Laufe der Jahrhunderte verändert hat. Noch viel interessanter finde ich mitunter Bilder wie die des Bauern-Breugel, der "einfache Leute" abgebildet hat, und die, obschon idealisiert, in vielen kleinen Details dann doch realistisch und detailgetreu zeigen, welches Geschirr und Werkzeug man vor ein paar Hundert Jahren verwendet hat. Manche Bilder erlauben eine Zeitreise.

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Oder ein Bild, aufgenommen aus dem Fenster der Wohnung, in der die Familie meiner Frau lebte, als meine Frau 2 Jahre alt war, also noch jünger als meine Tochter jetzt: Eine ziemlich leere Straßenkreuzung, an der ein paar Autos parken. Ganz wenige Fernsehantennen. Eine Frau geht mit Ihrem kleinen Kind an der Hand über die Straße. (Sie werden's erraten: Das Kind ist meine Frau.)

Technische Qualität: Na ja. Aussage: Keine? Warum hat der Fotograf das Bild dann damals aufgenommen? An derselben Ecke können Sie heute vielleicht sonntags morgens um drei riskieren, mitten auf der Straße zu gehen, aber einen Parkplatz finden Sie da auch dann nicht. Die Häuse sind mit Satellitenschüsseln gespickt. Oder Bilder aus dem Haushalt der Familie meiner Frau vor vielen Jahren. Solche Bilder sind fast eine Form von moderner Archäologie.

Langer Straße

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Man mag einwenden, dass mich diese Bilder faszinieren, weil es eben ein Stück meiner Familiengeschichte ist, das sie darstellen. Da ist sicher etwas dran. Dennoch scheinen mir Bilder, die auch ein Stück den Alltag dokumentieren, wie Sie z.B. Berenice Abbot oder Walker Evans gemacht haben, nicht nur für mich von bleibenderem Interesse zu sein als manches technisch perfekte, aber eben teilweise auch steril wirkende Meisterwerk.

Manchmal, wenn man Beiträge in Fotozeitschriften und Internetforen liest, könnte man meinen, Fotografie sei furchtbar schwierig. Fast kommt man als Anfänger zu dem Schluss, da hätte man ja sowieso keine Chance, Bilder zu erzeugen, die die hehren Ansprüche der Fine-Art-Fanatiker erfüllen.

Eigentlich alles Humbug! Auch mit einfachen Mitteln und mäßiger Technik können Sie – manchmal einfach durch Glückstreffer, manchmal durch ungeahntes und unbewusstes Können – Bilder erzeugen, die nicht nur Ihnen gefallen, sondern auch anderen. Und Spaß kann das auch noch machen!


Gisela mit Radio

Also nur noch "knipsen" und das Alltagsleben dokumentieren?

Das könnte ich wohl selber nicht. Es gibt Orte und Momente, da packt es mich, und ich muss fotografieren. Sorgfältig, mit Stativ und Gedöns. Für mich. Um ein Bild zu machen. Egal, wem es gefällt, gleich ob jetzt oder morgen oder sonst irgendwann. Meine Frau und meine Tochter fangen an, diese Situationen zu erkennen und sprechen mich dann gar nicht mehr an, weil ich außer "Jajaja!" sowieso nichts sage und auch gar nicht richtig zuhöre. (Sie kennen das sicher: Nicht nur bei Fotografen heißt "Ja." einfach "Ja.", "Jaja!" heißt "Nein" oder "Jetzt nicht!", und "Jajaja!" heißt, höflich umschrieben, "Bitte nicht stören!".) Das sind dann die Bilder, die ich brauche, an denen mir am meisten liegt.

Es sind aber wahrscheinlich oft nicht die Bilder, die andere anrühren.

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Fahrradleiche 
 

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Kreuze

Ich denke, es kann Bilder von bleibendem inhaltlichen Wert geben, aber es werden – das ist meine Überzeugung – oft nicht die "künstlerisch wertvollen Fine-Art-Prints" sein (Die empfinde ich bei mir, aber auch bei anderen, oft als "Selbstbefriedigung"), sondern möglicherweise Allerweltsbilder mit mehr oder weniger journalistischem oder dokumentarischem Inhalt, Bilder, die teilweise auch nicht von optimaler technischer Qualität sein werden, die aber die Umgebung und die Zeitgenossen des Fotografen bei alltäglichen Dingen abbilden, die den Menschen in 50 Jahren zeigen, wie man "damals" gelebt hat.

Daher möchte ich Sie stimulieren, auch einmal die Groß- oder Mittelformatkamera zur Seite zu legen, die KB-Kamera in die Tasche zu stecken und sich damit auf die Welt außerhalb des Fine-Art-Elfenbeinturms einzulassen. Fotografieren Sie sich, Ihre Freunde, Ihre Familie, Unbekannte, Alltägliches, haben Sie Spaß daran und kümmern Sie sich nicht darum, ob "künstlerisch wertvolle" und technisch hochwertige Bilder dabei entstehen. Wenn Sie ein fortgeschrittener Fotograf sind, wird auch manches nur so "hingeschmissene" Bild einfach aufgrund Ihrer Routine (oder Dank guter Automatikfunktionen der Kamera) schon von akzeptabler technischer und meist auch ästhetischer Qualität sein. Archivieren Sie die Bilder, und schauen Sie sie in ein paar Jahrzehnten wieder an. Vielleicht ist manches dabei, worauf Sie nicht so stolz sind wie auf den Platindruck von der unberührten Landschaft im Sankt-Ansel-Nationalpark, was Sie und Ihre Mitmenschen aber im Herzen berühren wird.

Und wenn Sie den Film dann als völlig verschwendet betrachten, kann es Ihnen doch passieren, dass diese "Ausschweifung" Ihr Gehirn irgendwie angeregt hat, denn das Gehirn macht es sich zwar gerne einfach (wie der Bierbauch, der auch immer wieder gute Gründe ans Gehirn liefert, warum gerade jetzt die Jogging-Schuhe Ruhe brauchen), aber nichts ist so schädlich für seine Flexibilität und Kreativität.

Ich empfehle Ihnen als Lektüre das Buch "Helden des Alltags" von Wladimir Kaminer und Helmut Höge, erschienen bei Goldmann, das ich vor kurzem zum Geburtstag geschenkt bekam. Es war Kaminers lakonische Sichtweise der Menschen zusammen mit den von Helmut Höge gesammelten Bildern wildfremder Menschen aus Haushaltsauflösungen, die die Umsetzung von Beobachtungen, die ich im Laufe der Jahre an anderen und an mir gemacht habe, in diesen Artikel katalysiert haben.

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