Schärfeentwickler


Karl Neumeier


Erfahrene Laboranten wissen, wie auch bei leicht unscharfen Bildern noch etwas zu retten ist: Sie ziehen auf hartes Papier ab. Tatsächlich wirkt ein harter Abzug schärfer als einer, der vom gleichen Negativ auf normales oder weiches Papier geprintet wurde. Das wirft die banale Frage auf: Was ist das eigentlich, Schärfe? Messen lässt sie sich nur bedingt, denn Schärfe hat auch eine sehr subjektive Komponente. Exakt lassen sich bestenfalls ein paar der Parameter bestimmen, die zum Schärfeeindruck beitragen: Auflösungsvermögen und Modulation beispielsweise.

 

Völlig aufgelöst

Das Auflösungsvermögen eines Films bestimmt man, indem man ein Linienmuster aufbelichtet. Lichtstrahlen werden an der Grenzfläche Luft/Emulsion gebrochen oder vom Trägermaterial des Films reflektiert. Bei der Belichtung des Linienmusters führt das dann dazu, dass auch zwischen den Linien eine Reihe von Silberhalogenidkristallen belichtet wird. Ab einer bestimmten Liniendichte werden die Zwischenräume nicht mehr weiß wiedergegeben. Die Zahl der Linienpaare, die noch getrennt abgebildet werden können, bezeichnet man als Auflösungsvermögen.

Die Streuung nimmt mit der Größe der Kristalle, und mithin der Filmempfindlichkeit, zu. Ebenso wird natürlich bei zunehmender Belichtung mehr Licht gestreut. Minimal bleibt die Streuung daher, wenn man einen niedrigempfindlichen Film moderat belichtet. Das hat den angenehmen Seiteneffekt, auch das Filmkorn klein zu halten.

Doch ein hohes Auflösungsvermögen allein garantiert noch keine Schärfe. Ein SW-Film löst rund 150 Linienpaare pro Millimeter auf; einen Schärferückgang registrieren wir aber erst, wenn die Auflösung auf Werte zwischen 20 und 30 Linienpaare sinkt. Eine Holografieplatte schafft deren 2000 bis 3000 - und wirkt dabei unschärfer als jeder SW-Film. Wie kommt´s?

Jetzt tritt die Modulation auf den Plan. Unser Wahrnehmungssystem Auge/Gehirn ist für Helligkeitsänderungen viel empfindlicher als für konstante Lichtwerte. Es gaukelt uns bei hohen Dichteunterschieden und einem steileren Übergang ein größeres Auflösungsvermögen vor. Beides wird durch eine harte Papiergradation gesteigert, deshalb wirkt ein harter Abzug subjektiv schärfer.

 

Scharfe Negative für scharfe Bilder

Ist ultrahartes Papier also ein Wundermittel für Schärfefanatiker? Wohl kaum, denn die Hardliner aus dem Papierregal glänzen nicht gerade durch feine Tonwertwiedergabe und sägen dadurch am anderen Standbein feiner Schwarzweiß-Prints. Optimal scharfe Abzüge lassen sich nur aus optimal scharfen Negativen herausholen - und das ohne beinharte Papiergradationen.

Wie kommt man zu solchen Negativen? Man macht sich den sogenannten Kanteneffekt zunutze. Der steigert an den Stellen des Bildes, wo Bereiche sehr unterschiedlicher Belichtung aneinander grenzen, den Kontrast, ohne flächige Strukturen wesentlich zu beeinflussen. Wieweit sich der Kanteneffekt aber tatsächlich schwarz auf weiß in der Emulsion bemerkbar macht, hängt vom Entwickler und vom Verarbeitungsprozess ab. Gemäß der alten Bauernregel, nach der weniger manchmal mehr ist, sind gute Schärfeentwickler "dünne Suppen". Und das aus mehreren Gründen:

  • Die Entwicklersubstanz soll sich in den hohen Bilddichten rasch erschöpfen, darf also nicht hoch konzentriert sein. Die Endkonzentrationen liegen zwischen 0.1 und 1 Gramm pro Liter.
     
  • Der pH-Wert soll lokal stark absinken können und dadurch die Entwickleraktivität verringern. Das erreicht man durch eine geringe Pufferkapazität - stark verdünnte Karbonat- oder Ätzalkalien sind gefragt.
     
  • Bromid soll die Entwicklung lokal hemmen. Damit überhaupt bemerkbare lokale Konzentrationsunterschiede auftreten können, muss die Bromidkonzentration im Entwickler gering sein.
     
  • Entwickleroxidationprodukte können, je nach Entwicklersubstanz, die Entwicklung verzögern oder beschleunigen. Um sich diese "Abfallstoffe" zum Bremsen nutzbar zu machen, muss man einerseits zur richtigen Entwicklersubstanz greifen (Metol oder p-Aminophenol), andererseits die Sulfitkonzentration so niedrig halten, dass nicht alle oxidierten Moleküle als Sulfonate aus dem Verkehr gezogen werden.

Gehen bei der Filmauswahl und -belichtung Schärfe und Feinkörnigkeit noch Hand in Hand, so trennen sich die Wege bei der Entwicklung: Fein(st)kornentwickler mit ihren hohen Sulfitkonzentrationen und Silberhalogenid-Lösemitteln sieben ihr feines Korn deutlich auf Kosten der Schärfe. Dafür hinterlassen die wässrigen Schärfeentwickler ziemliche Brocken in der Emulsion. Welchen Weg schlagen die einzelnen Entwickler an dieser Kreuzung ein? Ein Blick auf die Rezepturen gibt Aufschluss:

  • Phenidon-Hydrochinon-Entwickler zeigen überhaupt keinen Kanteneffekt. Phenidon ist selbst in Spuren noch sehr wirksam und kaum so zu dosieren, dass es schnell ausgelaugt werden kann. Außerdem ist es extrem bromid- und pH-unempfindlich. Microphen, T-Max-Entwickler, Ultrafin plus und Konsorten halten zwar das Korn klein, können im Fach Schärfe aber keine Meriten ernten.
     
  • Metol-Hydrochinon-Entwickler, wie D-76 oder ID-11, sind kaum besser. Zwar kann der Kanteneffekt hier durch Verdünnung des Entwicklers geringfügig gesteigert werden - trotzdem ist Schärfeentwickeln nicht ihr Metier.
     
  • Reine Metol-Sulfit-Entwickler, Microdol X oder CG-512 beispielsweise, lassen sich da schon besser abstimmen. Bei 1+3- oder 1+4-Verdünnung zeigen sie bereits einen ausgeprägten Kanteneffekt. Als Feinstkornentwickler, als die sie eigentlich konzipiert wurden, müssen sie dafür im verdünnten Zustand Federn lassen. Sie gehen den goldenen Mittelweg zwischen Schärfe und Feinkörnigkeit.

 

Zwei Spezialisten

Den stärksten Kanteneffekt und damit die beste Bildschärfe bringen Schärfeentwickler wie Agfas Rodinal oder Neofin aus dem Hause Tetenal - ohne Rücksicht auf Verluste. Während im Neofin Metol als Entwicklersubstanz tätig ist, macht im Rodinal p-Aminophenol den Job.

Rodinal wird von Haus aus 1+50 verdünnt. Je nach Art des Films können aber auch anders konzentrierte Ansätze benutzt werden. Agfa gibt im Beipackzettel die Verdünnung 1+25 an. Das hält die Verarbeitungszeiten kurz, sollte aber nur T-Grain- oder Core-Shell-Emulsionen zugemutet werden. Andere Filme, vor allem hochempfindliche, reagieren mit wilden Körnerwüsten. Agfapan, FP- 4 und Kollegen entwickelt man deshalb besser in der 1+50-Verdünnung und verlängert die Entwicklungszeit entsprechend. Agfaortho und Agfapan 25 sollte man sogar mit einer 1+100-Verdünnung verwöhnen. Dann ist die Schärfe absolut konkurrenzlos. Neofin kommt ohne den ganzen Verdünnungs-Poker aus: 1+20 hilft für alle Gelegenheiten. Dafür bietet Tetenal eine ganze Modellreihe an: Neofin rot für mittel- und hochempfindliche Filme, Neofin blau für die niedrigempfindlichen Uhus (unter hundert ISO) und Neofin doku zur Entwicklung von orthochromatisch sensibilisierten Filmen wie Technical-Pan und Agfaortho.

Genau wie eine hohe Entwicklerkonzentration unterdrückt auch eine kräftige Bewegung das Auftreten von Kanteneffekten. Wird eine stark belichtete Stelle ständig mit frischem Entwickler umspült, dann ist ein lokales Auslaugen unmöglich. Deshalb sollte man, will man rasiermesserscharfe Negative, Kleinbild- oder Rollfilme nur einmal pro Minute kippen und auf keinen Fall bei ständiger Rotation entwickeln. Ganz ohne Bewegung geht es allerdings auch nicht. Zumindest dann nicht, wenn der Film senkrecht steht, wie in der Dose oder im Planfilm-Entwicklungstank der Fall. Sonst kann es zu sogenannten Bromidabläufen kommen: An Stellen intensiver Belichtung entsteht viel metallisches Silber und in seinem Gefolge auch viel Bromid. Das kann in der Lösung nach unten sinken und hemmt dort die Entwicklung - helle Streifen auf dem Negativ sind die Folge. Höchstens Planfilmen oder Glasplatten darf man beim Entwickeln absolute Ruhe verordnen - liegend in der Schale. Das sorgt für einen sehr ausgeprägten Kanteneffekt und mithin für optimale Schärfe.

 

Ende der Legende

Die sogenannte Schichtoberflächenentwicklung, Lieblingskind vieler Autoren, trägt dagegen kein Scherflein zum Schärfeeindruck bei. Warum nicht? Weil es sie bei der Filmentwicklung schlicht und einfach nicht gibt. Schloemann und Trabert beschrieben dieses Phänomen für Fotopapier. Im Laufe der Zeit wurde es, nach dem Prinzip "Stille Post", auch auf Filme übertragen. Zu unrecht. Eine Entwicklersubstanz, gleich welche, benötigt drei bis fünf Sekunden um durch die gesamte Emulsion zu diffundieren. Das Entwickleralkali, das den Entwickler aktiviert, braucht deren 40 bis 60. Von Schichtoberflächenentwicklung kann man also nur dann reden, wenn die gesamte Entwicklungszeit diese 60 Sekunden nicht übersteigt - wie das bei den meisten Papierentwicklern der Fall ist. Bei den für Filme üblichen Entwicklungszeiten zwischen fünf und zwanzig Minuten spielt dieser Effekt jedoch keine Rolle. Alle Filmentwickler sind Schichttiefenentwickler!

 

Rodinal und die Panzerknacker

Das Who is who der Schärfeentwickler

Einmalentwickler auf Metol-Basis

  • Tetenal Neofin blau
  • Tetenal Neofin rot
  • Tetenal Neofin doku

Einmalentwickler auf p-Aminophenol-Basis

  • Agfa Rodinal
  • Orwo R-09
  • Tetenal Paranol

Rezepturen für Schärfeentwickler

Mehr als 50 Jahre wurde die Rodinal-Rezeptur gehütet wie ein Staatsgeheimnis - bis 1945 die Alliierten die Panzerschränke der Agfa in Wolfen plünderten. Seitdem ist sie im Bericht des "Combined Intelligence Objectives Sub-Commitee" (Seite 18) nachzulesen.

Wasser 75 ml
p-Aminophenol 5.5 g
Kaliumsulfit sicc. 4 g
Kaliumhydroxid 4 g
Kaliumbromid 1 g
Na4EDTA 2 g
Wasser auf 100 ml

Verwenden Sie freies p-Aminophenol, kein -hydrochlorid. Das ist billiger und besser. Kaliumhydroxid lösen Sie am besten zunächst in vier Millilitern Wasser und setzten es dann zu. Erst jetzt, im alkalischen Milieu, geht das p-Aminophenol in Lösung.

Die exakte Neofin-Rezeptur ist und bleibt Firmengeheimnis von Tetenal. Folgendes Rezept aus Willi Beutlers "Dunkelkammerpraxis" dürfte Neofin blau aber recht nahe kommen und darf als typischer Vertreter der extrem dünnen Einmalentwickler gelten:

Metol 1 g
Natriumsulfit sicc. 5 g
Natriumkarbonat sicc. 5 g
Wasser auf 1.2 l


 

Was ist Schärfe?

Film, Auge und Gehirn gaukeln uns falsche Tatsachen vor, wenn es um die Schärfe des Objektes geht. Doch wir profitieren davon: Manche Dinge sehen wir schärfer, als sie eigentlich sind.

Wenn wir einen Gegenstand fixieren, dann macht das Auge winzige Bewegungen - hin und her, 50mal in der Sekunde. Wir merken das nicht, weil das Gehirn dieses Zittern bei der Bilderstellung mitberechnet.

Die Sehzellen des Auges reagieren weniger auf einen absoluten Lichtwert als auf Helligkeitsänderungen. Durch die Hin- und Herbewegung des Auges wird beim Betrachten einer Kante die gleiche Sehzelle immer wieder über den Dichtesprung geführt und dadurch überproportional stark gereizt. Gleichzeitig unterdrückt sie Informationen, die Nachbarzellen zum Gehirn senden. Durch diese laterale Inhibition wird der Kontrast nochmals verstärkt.

Auch der Kanteneffekt in fotografischen Emulsionen sorgt für eine lokale Kontrastverstärkung. Wie er entsteht, lässt sich am besten an einer aufbelichteten Stufe erklären: ein Teil eines Filmstücks erhält viel, der andere sehr viel weniger Licht.

Durch Beugung und Brechung des Lichts in der Emulsion wird die effektive Belichtung weniger steil. Entwickelt man dieses Filmstück, findet im belichteten Teil eine starke Entwicklungsreaktion statt; Entwickler wird verbraucht und entwicklungshemmende Nebenprodukte (Bromid, oxidierter Entwickler) entstehen - die Entwicklung wird verlangsamt.

Lediglich am äußersten Rand kann frischer Entwickler aus der wenig belichteten Region nachdiffundieren hier wird die Dichte am höchsten. Umgekehrt tauchen Bromid und Entwickleroxidationsprodukte in die Gegend geringer Belichtung ab und hemmen dort die ohnehin schwache Entwicklung. Das führt zur lokalen Kontrastverstärkung. Eine weiße Linie um hohe Dichten herum verdankt ihre Existenz dieser Tatsache. Man nennt sie Mackie-Linie.

Ein Spezialfall des Kanteneffekts ist der sogenannte Eberhardt-Effekt (nach Gustav Eberhardt, der das Phänomen 1912 zum ersten Mal beschrieb): Ist eine Struktur sehr fein, dann kann sich der Kanteneffekt über die ganze Breite entfalten. Dadurch werden, bei gleicher Belichtung, feine Linien dichter wiedergegeben als größere Flächen.

Dichteunterschied und Gradation lassen sich mit Hilfe komplizierter Formeln auch als Zahlen ausdrücken: als Modulation oder, davon abgeleitet, als Modulationsübertragungsfunktion (MTF, vom englischen Modulation Transfer Function). Je größer die Modulation, desto schärfer der Eindruck. Aber nur, wenn diese Modulationserhöhung auch in dem Ortsfrequenzbereich (das ist die Zahl der Linienpaare pro Millimeter) stattfindet, den unser Auge noch wahrnimmt.

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