Sensitometrie - die Empfindlichkeit


Karl Neumeier


Vor allem die Filmhersteller überschlagen sich fast mit der Herstellung immer empfindlicherer Aufnahmematerialien; die ISO-, ASA- oder DIN-Werte scheinen inflationär nach oben zu schnellen. Frühere High-Speed-Filme mit 400 ASA wirken geradezu behäbig im Vergleich zu den neuen Mega-Stars, die bis zu achtmal empfindlicher sind. Doch gerade in den werbewirksamen Zahlenspielen um das Ausreizen der Lichtempfindlichkeit kommt einiges an Sprachverwirrung zum Vorschein. Löst man das Begriffsknäuel, so zerfällt es in folgende drei Teile:

  • Eigenempfindlichkeit
  • Spektrale Empfindlichkeit
  • Empfindlichkeitsausnutzung

Wo nichts ist, ist nichts zu holen

Die ersten beiden Punkte sind nur vom Fachmann zu unterscheiden und werden als Summe der Empfindlichkeit einer fotografischen Schicht bezeichnet. Der Begriff Empfindlichkeitsausnutzung bezieht sich dagegen auf den Entwickler. Gemeint ist, bis zu welchem Grad ein Entwickler die Empfindlichkeit des Films zu nutzen vermag. Das bedeutet, dass nicht ein Entwickler für die Empfindlichkeit verantwortlich ist, sondern nur die fotografische Schicht. Getreu dem bekannten Motto - "wo nichts ist, ist nichts zu holen" - hilft auch der beste Entwickler bei einer unempfindlichen Schicht nicht weiter. Auch durch das sogenannte Pushen lässt sich die Empfindlichkeit nur unwesentlich steigern - was sich tatsächlich ändert, ist der Verlauf der Schwärzungskurve.

Für die Angabe der Empfindlichkeit gibt es verschiedene Möglichkeiten. Bei Filmen wird sie als ASA-, DIN- oder ISO-Wert angegeben. Bei Empfindlichkeitswerten in DIN liegt ein logarithmisches Maßsystem vor. Das heißt: Bei Verdoppelung der Empfindlichkeit hat man nicht auch eine Verdoppelung der DIN-Zahl, sondern einen Unterschied um drei DIN-Stufen. Drei DIN-Stufen entsprechen einer Blende, ein DIN einer Drittelblende. Das ASA-System ist ein lineares System, so dass die Verdoppelung der ASA-Zahlen auch einer Verdoppelung der Empfindlichkeit entspricht. Seit einiger Zeit werden beide Werte nebeneinander in der ISO-Norm angegeben (Beispiel: ISO 100/21°).

Der Grad der Empfindlichkeit leitet sich aus der Belichtung ab und bezieht sich auf jene Lichtmenge, die nötig ist, um eine festgelegte optische Dichte nach der Verarbeitung zu erreichen. Also: Ein Material ist umso empfindlicher, je kürzer die Belichtungszeit ist, die man zum Erreichen der festgelegten Dichte benötigt. Für Schwarzweiß-Materialien ist die Dichte auf 0.1 über dem Grundschleier festgelegt. In der Dichtekurve wird dieser Punkt als Speed Point bezeichnet. Dieser Definition liegt zugrunde, dass sich die für den Speed Point festgelegte Dichte aufs Fotopapier bringen lässt, also "kopierfähig" sein muss.

Nach einer älteren Definition ist der Speed Point der Punkt, den man heute als Schwelle bezeichnet und an dem die Dichte über die Dichte von Untergrund plus Schleier anwächst. Dies hatte jedoch besonders in der bildmäßigen Fotografie unangenehme Auswirkungen: Materialien, die sich ansonsten gleich verhalten, unterscheiden sich im Verlauf geringerer Dichten in ihrer Empfindlichkeit. Dieser Unterschied lässt sich jedoch nicht kopieren. Einen einfachen Empfindlichkeitsvergleich kann jeder Anwender selbst vornehmen. Zunächst muss man auf konstante Verarbeitungsbedingungen achten, dann nimmt man eine Blendenreihe auf. Durch Vergleich von zusammen entwickelten Blendenreihen kann man relative Empfindlichkeitsangaben machen. Unterschiede bis zu einer Drittelblende sind noch zu erkennen.

 

Der erwünschte Fehler

So viel zu dem, was man sehen und begreifen kann. Wesentlich komplexer ist das, was sich hinter den Kulissen abspielt und die Eigenempfindlichkeit der fotografischen Schicht bestimmt. Reine Silbersalzkristalle sind wenig lichtempfindlich. Diese Kristalle bestehen nur aus Silber und - zum Beispiel - Bromionen. Erst Fremdstoffe oder "Verunreinigungen" dieser Kristalle an der Oberfläche der Kristallgitter (Kristallfehler) rufen die Lichtempfindlichkeit hervor. Kristallfehler entstehen zum Beispiel durch den Einbau von Fermionen, wie Iodid oder Sulfid, in das Kristallgitter. Diese Ionen haben einen anderen Platzbedarf im Gitter (Ionenradius) und führen so zu Verzerrungen des Gitters.

Besonders aktiv sind Stellen, an denen Kristallfehler an die Oberfläche stoßen, da dort die Ladungen nicht immer von den umgebenden Ionen neutralisiert werden können. Man bezeichnet solche Stellen auch als Empfindlichkeitsstellen. Bei Einbau von Sulfid Ionen (S2-) muss ein Silberion auf einen sogenannten Zwischengitterplatz wandern (Frenckelsche-Fehlordnung), damit das Ladungsgleichgewicht erhalten bleibt. Diese Stoffe, die die Empfindlichkeit bewirken, sind entweder bereits in der Gelatine als sogenannte Reifkörper enthalten oder werden der Gelatine gezielt in Spuren zugesetzt. Bei der Belichtung verwandeln sich die so entstandenen "Störstellen" dann in Entwicklungskeime. Die unterschiedliche Empfindlichkeit verschiedener Silberbromidschichten rührt daher, dass an kleine Reifkeime bei der Entwicklung viel Silber angelagert werden muss, an große weniger.

Die Lichtempfindlichkeit im Eigenempfindlichkeitsbereich der Kristalle ist proportional zum Kristallvolumen. Das bedeutet, dass Schichten mit großen Körnern empfindlicher sind als solche mit kleineren Körnern, die dafür feinkörniger arbeiten. In den letzten Jahren haben die Hersteller verschiedenste Tricks ersonnen, um die Kristalloberfläche zu vergrößern und damit die Empfindlichkeit zu erhöhen, ohne dass die Emulsion gleichzeitig grobkörniger wird. Das Ergebnis sind die bei Kodaks T-max-Filmen verwendeten T-Grains und Core-Shell-Emulsionen, wie sie zum Beispiel für den Ilford 400 Delta gegossen werden.

Daneben spielt die spektrale Sensibilisierung eine wichtige Rolle, denn reines Silberhalogenid ist unempfindlich gegenüber grünem, gelbem oder rotem Licht. Die Eigenempfindlichkeit liegt nur im blauen Spektralbereich. Es gibt jedoch Substanzen, die an die Oberfläche der Silberhalogenidkristalle angelagert werden können und den fotografischen Schichten die "Farbenblindheit" austreiben. Diese Entdeckung geht auf H. W. Vogel (1873) zurück. Typisch für solche sogenannte Sensibilisierungsfarbstoffe ist, dass abwechselnd Doppel- und Einfachbindungen die Atome verbinden; man bezeichnet das als konjugiertes System. Sensibilisatormoleküle müssen zwei wichtige Grundbedingungen erfüllen:

  • Sie müssen an der Oberfläche des Silberhalogenidkristalls angelagert werden.
  • Das Molekül darf die übernommene Lichtenergie nicht in Wärme umwandeln, sondern muss sie an die Silberhalogenidkörner weiterleiten.

Solche Sensibilisatoren steigern die Empfindlichkeit um mehrere Blenden. Ohne sie wäre auch die heutige Farbfotografie nicht denkbar.

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.